Die „systemische Familientherapie Therapie nach Bert Hellinger“ – eine gefährliche Heilslehre:

Von Irmela Wiemann, Diplom Psychologin

Seit Jahren werde ich hin und wieder bei Seminaren oder Workshops, die ich für Pflege- und Adoptiveltern gestalte, angesprochen: Machen Sie „Familienaufstellungen“ nach Bert Hellinger? Meine Antwort lautet: “Nein. Ich lehne die Arbeitsweise von Hellinger ab“. Und manchmal füge ich hinzu: „Meine Arbeitsmethode entspricht der Familienskulptur, der Familienrekonstruktion, wie ich sie in den siebziger und achtziger Jahren von Hinda Steiner und Carol Gammer gelernt habe.“ Dann kommt bei machen jungen Kolleginnen Erstaunen auf: „Ach, gab es schon Skulpturarbeit vor Bert Hellinger?“ Auch das ist falsch. Die klassische Skulpturarbeit in der Familienrekonstruktion hat mit dem, was Hellinger „Aufstellungen“ nennt, und wie er oder seine Anhängerinnen und Anhänger mit den Klienten arbeiten, ganz und gar nichts zu tun. Vor zwei Jahren bekam ich ein begeistertes Schreiben einer Psychologin: „Hellinger ist eine Offenbarung für mich.“ Sie hat das Wesentliche am Hellinger-Phänomen getroffen: Hat eine Offenbarung noch etwas mit einer seriösen Therapie zu tun? Hellinger glaubt, was er sagt. Seine Sichtweise von der Welt ist berauschend einfach. Er hat Philosophie, Theologie und Pädagogik studiert und arbeitete sechzehn Jahre lang als Mitglied eines katholischen Missionsordens. Seit 1993 praktiziert er „Familienstellen“ vor Massenpublikum. (Focus 13/98, Wenn Therapeuten Gott spielen). Hellinger spricht fast in einem gemütlichen, liebevollen Plauderton, wirkt zunächst gar nicht autoritär, ist es aber doch. Wie meist bei „Führerpersönlichkeiten“ „Gurus“, „Heilern “: In seinen immer wiederkehrenden Thesen vermischt sich Elementares, Treffendes und Stimmiges mit Dogma, Mythos und Irrationalität. Patriarchale Strukturen, fragwürdige Naturgesetzlichkeiten und antiemanzipatorische Werthaltungen stehen im Mittelpunkt von Hellingers „Ordnungen“. Das Buch von Guntram Weber „Zweierlei Glück“ mit dem Untertitel „Die systemische Psychotherapie Bert Hellingers“ liest sich wie eine Bibel, nur viel naiver und Hellinger beschreibt sein eigenes Erfolgsrezept so: „Bei der Psychotherapie ist die Vorgehensweise ganz einfach. Es geht einem da, wie einem guten Führer. Ein guter Führer sieht, was die Leute wollen, und das befiehlt er." (Weber, 1999, S. 212) Titel seiner Großveranstaltungen wie „In der Seele an die Liebe rühren“ oder „Wo Demut heilt und Ohnmacht Frieden stiftet“ müssten eigentlich misstrauisch machen. In Frankfurt bot Hellinger 1998 sein Familienstellen vor Massenpublikum für „Opfer von schweren Trauma und lebensbedrohlich Kranke, sowie für begleitende und beobachtende Psychotherapeuten und Ärzte“ an. Die im großen Stile betriebene Vermarktung der Hellinger-Veranstaltungen durch Bücher (die er schreiben lässt) und technisch hochwertige Videos zeigt, wie sich Geschäftstüchtigkeit und Missionseifer verbinden lassen. Die Inszenierungen bei Hellingers Großveranstaltungen, übertreffen bei weitem, was wir aus den Medien an Talkshow-Exhibitionismus und -Voyeurismus kennen. In jedem Fall werden Hellingers Allmachtsansprüche sichtbar. „Ich begreife Psychotherapie eher als Seelsorge. Ich tue etwas für die Seele des anderen, damit er mit seinen Kräften in Kontakt kommt. Das hat etwas Religiö ses, Spirituelles. Wenn ich ihn so entlasse, ist er mit sich in grö ßerem Frieden und er führt sein Schicksal im Einklang zu Ende, wie immer es ist.“ (Hellinger, ten Hö vel, Anerkennen, was ist, 1996, S. 134) „Wenn ich jemanden in seiner Familie sehe, mit Vater, Mutter und Geschwistern und den Verstorbenen, nehme ich viel mehr von ihm wahr, sehr viel mehr. Ich schaue auf etwas Grö ßeres und sehe ihn auf diese Weise viel umfassender. (Hellinger, ten Hö vel, Anerkennen, was ist, 1996, S.92)

Die „Stellvertreter“

Hellinger fordert die Klienten auf, ihre Familie „aufzustellen“. Dabei gibt er vor, wer alles „gestellt“ werden soll. Wenn die Klientin oder der Klient ihr Bild angeordnet haben, setzen sie sich und Hellinger arbeitet mit den Stellvertretern. Hellinger fragt einige Rollenspieler, wie es ihnen geht und er bringt Ordnung ins System: Er fragt die „Stellvertreter“, wie sie sich fühlen und platziert sie um, bis sie sich besser fühlen. Wenn ich in Familienrekonstruktionen Gefühle der Rollenspieler erfasse, betone ich immer, dass die Aussagen der Rollenspier nicht identisch mit denen der dargestellten Menschen sein müssen, sondern dass bei ihnen eigene subjektive Anteile einfließen können. Wir nehmen die Aussagen als Anregung, als Impuls. Die Klientin, der Klient kann das für sich herausnehmen, was mit ihren Gefühlen übereinstimmt. Die Stellvertreter bei Hellinger irren sich nie. Für Hellinger sind sie identisch mit der wirklichen Familie. Die „Aufstellung“ und das, was die Rollenspieler fühlen, was Hellinger den Rollenspielern suggeriert, wird zum Dogma, wird im Gegensatz zu seriöser Familientherapie als absolut und wahr hingenommen. Mehr noch: Hat er sie auf der Bühne umgruppiert, so meint Hellinger, wird sich auch die echte Familie draußen hierdurch ändern. Hellinger kann zaubern: „Es kommt etwas ans Licht, was bisher verborgen war. Wenn es am Licht ist, kann ich ausprobieren, ob es eine Lö sung gibt. Aber so, wie die wirkliche Familie in dieser Aufstellung gegenwärtig ist, so wirkt auch die Lö sung von der dargestellten Familie auf die wirkliche Familie zurück. Selbst wenn die nichts davon wissen.“ (Hellinger, ten Hö vel, Anerkennen, was ist, 1996, S. 83) Die Menschen, die sich auf Hellingers Stellvertretermethode einlassen, äußern sich in ganz bestimmten Codes, die immer wiederkehren: „Hinter mir ist es warm“, „Meine rechte Seite ist heiß“, „Es ist gut“, „Es ist ein gutes Gefühl so“, manchmal auch: „Mein Herz klopft“, „ich schwitze“, meine Knie zittern“ „Es ist jetzt viel besser so“, „Ich habe schwere Arme“, „einen Kloß im Bauch, groß und fest“, oder: „Dort ist das Licht“.

Die Klienten bei Hellinger: Modelliermasse?

Manchmal entfernt sich Hellinger ganz weit von dem, was der Klient oder die Klientin als Thema eingegeben hat. „Ich arbeite nicht mit den Gefühlen, die der Klient schildert, sondern ich sehe den Gesamtvorgang und gehe an das allererste Gefühl, auf das es ankam. Das ist immer die Liebe. Da gibt es nach meiner Erfahrung keine Ausnahme.“ (Hellinger, ten Hö vel, Anerkennen, was ist, 1996, S. 105) So konnte man im siebenstündigem Videoband einer Hellinger-Show zum Thema Adoption („Haltet mich, dass ich am Leben bleibe“) deutlich sehen, wie eine adoptierte Frau sich selbst außerhalb ihrer Familie „stellt“, weil sie sich in dieser nicht als zugehörig fühlte. Hellinger gruppiert die „Stellvertreter um“, schickt die Mutter der Familie ein Stück nach draußen, die „Stellvertreterin“ der Klientin wird in die Familie den Geschwistern näher gestellt und sagt, dass es ihr jetzt, da die Mutter draußen ist, besser geht. Zum Schluss wird die Stellvertreterin fortgeschickt und die Klientin bekommt ihren neuen Platz. Und mit den Worten von Hellinger: „So können wir es lassen“ ist die Sequenz beendet. Man könnte sich fragen, was hat die Klientin für einen Nutzen davon? Was kann sie von der Hellinger-Bühne mit in ihr Leben nach draußen nehmen? Schließlich haben die echten Geschwister der Klientin keine Zuneigung gezeigt, ist die echte Mutter der Familie nicht verschwunden. Doch im Moment ist es erst einmal einfach schön, sind Rollenspieler und Klientin beglückt. Manchmal arbeitet Hellinger ganz schlicht. Er erzählt Geschichten, Gleichnisse, Anekdoten. Oder er fragt einen Klienten: „Bist du stark?“ Der antwortet: “Ich weiß nicht“ und nach einer kleinen Pause sagt Hellinger: “Du bist stark“. Oder er arbeitet mit einer Klientin gar nicht und sagt freundlich: „Wenn ich dich anschaue, hast du alles, was du brauchst“. Vielleicht musste er da im Timing vorankommen? Hellinger verschreibt direktiv Lösungen. Wer seinen „Lösungen“ nicht folgt, wird wie ein Schulkind zurück auf seinen Platz verwiesen. Die Ordnung – Lehrer und Schüler – muss schließlich eingehalten werden. Hellinger ignoriert das strukturell in jeder Therapeut-Klienten-Beziehung enthaltene Macht-Abhängigkeits-Verhältnis. Oder bedient er sich dessen bewusst? Werte eines humanistischen Menschenbildes, Klientenzentriertheit, das Respektieren von Abwehr, das Berücksichtigen von Phasen im therapeutischen Prozess: Damit hält sich ein Hellinger nicht auf. Bezeichnend für die Hellinger-Ideologie ist der Titel eines Vortrages von Albrecht Mahr, der nach Hellinger arbeitet. „Die Weisheit kommt nicht zu den Faulen – über Geführtwerden und Technik beim Familienstellen“. Colin Goldner schreibt in seinem Buch Psycho, Therapien zwischen Seriosität und Scharlatanerie auf S. 195: „Anders als in der etablierten Familientherapie, die seit jeher diese Techniken einsetzt, erhält der Klient bei Hellinger keine Möglichkeit, seine Gedanken und Gefühle weiter zu erschließen; vielmehr agiert ausschließlich Hellinger (bzw. der Hellinger- Therapeut): Er verändert die Position der einzelnen „Familienmitglieder“ beliebig zu einer von ihm so bestimmten „Lösungskonstellation“ und konfrontiert den Klienten mit apodiktisch vorgetragenen Interpretationen und Anweisungen. Diesem bleibt lediglich die Wahl, diese anzunehmen oder nicht. Eine weitere Erörterung oder therapeutische Bearbeitung findet nicht statt. Hellingers Vorgehensweise, gelegentlich als „systemische Familienaufstellung“ bezeichnet, wird in esoterischen Publikationen aufs höchste gepriesen, der „Ganzheitsmediziner“ Ingfried Hobert zählt sie zusammen mit Bachblüten-Therapie, Kinesiologie und Schamanischen Ritualen, gar zu den Heilweisen „für das neue Jahrtausend“.

Erste Säule von Hellingers Lehre: Die Ordnung

Ein Hauptschlüssel in Hellingers „therapeutischem“ Wirken ist: Die Ordnung. Hellingers „Ordnungen“ sind streng traditionell, berauschend und beängstigend einfach. „Es gibt Verhaltensweisen oder Einstellungen, die der Ordnung dienen und es gibt Verhaltensweisen, die eine Ordnung stö ren. Dann ist es das Ziel der Therapie, etwas, das in Unordnung geraten ist, wieder in Ordnung zu bringen.“ (Hellinger, ten Hö vel, Anerkennen, was ist, 1996, S. 94) „Eine Frau kann sich nur entfalten, wenn sie einen Mann hat. Was soll eine Frau ohne einen Mann!? Der Mann ist als Mann auch nur bedeutsam, wenn er eine Frau hat. Was soll ein Mann ohne Frau? (Weber, 1999,S. 133) „Eine Frau findet ihre Erfüllung und erreicht ihre Grö ße und ihr grö ßtmö gliches spezifisches Gewicht durch viele Kinder. Das ist eine ganz normale Grö ße, aber es ist die grö ßte Grö ße, die es gibt. Nichts anderes reicht da ran. Bei dem Mann, der viele Kinder hat, ist das ähnlich, wenn auch nicht in gleichem Maße.“ (Weber, 1999, S. 133) „Die Beziehung zwischen Mann und Frau gelingt, wenn die Frau dem Mann folgt. Das heißt, sie folgt ihm in seine Familie, an seinen Ort, in seinen Kreis, in seine Sprache, in seine Kultur, und sie stimmt zu, dass auch die Kinder ihm dorthin folgen. .... Wenn der Mann zum Beispiel einheiratet, dann folgt er der Frau. Das führt zu keiner erfüllten Beziehung und geht schief, weil der Mann sich dort nicht entfalten kann. ... Allerdings gibt es auch hier einen Ausgleich, ein Gegengewicht: Zur Ordnung der Liebe zwischen Mann und Frau gehö rt als Ergänzung: Der Mann muss dem Weiblichen dienen.“ (Weber, 1999, S. 110) Schwul- oder Lesbischsein widerspricht Hellingers Ordnungsvorstellungen. Wird ein Sohn rechtsradikal, so hat das seine Mutter zu verantworten, da sie den Vater nicht geachtet hat. „Ich habe zum Beispiel einen Sohn, der homosexuell war und den Vater geschlagen hat, vor dem Vater niederknien und sagen lassen: „Ich gebe dir die Ehre“. Und zwei Monate später hat er geheiratet und hat jetzt ein Kind.“ (Focus, 13, 1998) „Wenn die Mutter sagt: Ich kann das alleine, wird das Männliche damit verachtet und verdrängt. Aus solchen Familien kommen dann Jungen, die das Männliche in seiner verzerrten Form zur Geltung bringen, weil das andere bei ihrer Mutter keine Achtung gefunden hat. Rechtsradikales Verhalten ist oft eine Rache an der Anmaßung der Mütter, die meinten, sie kö nnten den Mann verachten oder verbannen.“ (Hellinger, ten Hö vel, Anerkennen, was ist, 1996, S. 177) Ein einfaches Weltbild hat einfache Lösungsstrategien zur Folge. Manche Klientenarbeit dauert gerade mal 20 Minuten. Die Klienten müssen lernen, „Ordnungen“ zwischen Mann und Frau anzuerkennen, zwischen Eltern und Kind, zwischen Geschwistern. Den Ordnungen wird entsprochen durch die Demut: „Die Demut ist das Schwerste, aber sie macht reich.“ Häufigster Einheitslösungssatz für die Klienten ist deshalb: „Ich gebe dir die Ehre, danke.“ Für Adoptierte heißt das Anerkennen von Ordnungen: „Ich habe nicht das natürliche Recht, von meinen Adoptiveltern das zu bekommen, was ich möchte.“ Ihren Adoptiveltern müssen sie danken, weil diese „Großes“ für sie getan haben. Ein Herkunftsvater muss zum Adoptivvater sagen: „Du bist groß, ich bin winzig.“ Adoptierte sagen zu ihren Herkunftseltern: „Ich lass dich ziehen, mein Platz ist jetzt hier“. Es gibt Kinder, die wurden zu Unrecht aus ihrer Familie verstoßen, die dürfen zu ihren Eltern sagen: "„Mama, halte mich“ und es gibt Herkunftseltern, die haben ein „steinernes Herz“, sie müssen zu ihrem fortgegebenen Kind sagen: „Ich habe dich abgetrieben. Und ich ziehe mich jetzt zurück. Ich lasse dich bei deinen neuen Eltern.“ Egal, wie wenig angenommen sich Adoptierte u. U. in ihrer Adoptivfamilie gefühlt haben: Sie müssen sich vor ihren Adoptiveltern ganz tief verneigen und sagen: „Ihr habt es für mich getan. Ich danke euch, ich gebe euch die Ehre“ oder: „Ich habe nichts verdient, es war alles ein Geschenk, was ihr mir gegeben habt.“ Doch Hellinger ist flexibel. In einem Fall, bei dem eine Adoptierte eine chaotische Adoptivfamilie aufgebaut hat, sagt er zur Freude der Klientin: „Ich hol dich da raus“.

Zweite Säule von Hellingers Lehre: Die Verstrickung

Ein besonderer Schlüsselbegriff von Hellinger ist die „Verstrickung“. Hier handelt es sich um „Zusammenhänge, die man nicht ableiten kann“, bzw. Zusammenhänge, die nur Hellinger durch die Aufstellung „sieht“. „Bei der systemischen Familientherapie geht es darum, herauszufinden, ob jemand innerhalb der erweiterten Familie in die Schicksale früherer Familienmitglieder verstrickt ist. Das kann man durch Familienaufstellungen ans Licht bringen. Wenn das am Licht ist, kann sich jemand leichter aus seinen Verstrickungen lö sen“, (Hellinger, ten Hö vel, Anerkennen, was ist, 1996, S. 13) „So kommt mir manchmal plö tzlich, wo die Lö sung liegt, und ich sehe Zusammenhänge, die man nicht ableiten kann. Z.B. habe ich gesehen: Wenn jemand einen Bart trägt, hat er eine Mutter, die seinen Vater verachtet und sich für besser hält. Und beim Vater seines Vaters war es genauso.“ (Hellinger, ten Hö vel, Anerkennen, was ist, 1996, S. 88) Beim Anschauen des Adoptionsvideos konnte ich sehen, wie Hellinger eine Verstrickung konstruierte, die von der Klientin nicht angenommen werden konnte. Und Hellinger wurde in seinem gleichmäßigen Plauderton gefährlich und destruktiv. Für den Schutz seiner Klientinnen und Klienten, die sich öffentlich outen, fühlt er sich nicht zuständig: Eine Adoptivmutter ist mit ihrem zwanzigjährigen Adoptivsohn da. Hellinger fragt sie: Was war in deiner Familie? Die Frau erzählt, dass sie recht zufrieden mit Vater und Mutter aufgewachsen ist. Es war die zweite Partnerschaft der Mutter. Deren erster Mann ist im Krieg gefallen. Und sofort ist für Hellinger klar: „Du vertrittst den gefallenen ersten Mann der Mutter.“ Die Klientin kann es nicht annehmen, will protestieren. Sie macht an ihrer Position einen kleinen Moment lang nicht, was Hellinger möchte. Daraufhin urteilt Hellinger: “Sie kann nicht einfühlen – selber – ich muss ihr das vorführen.“ Die Frau muss sich hinsetzen und zuschauen. Nun entwickelt Hellinger nicht nur, dass die Frau selbstmordgefährdet ist, weil sie dem gefallenen Mann folgen will, sondern auch, dass sie ihrem Adoptivsohn denselben Auftrag gegeben hat, dass er den verstorbenen ersten Mann seiner Adoptivoma vertritt bzw. für die Adoptivmutter repräsentieren muss. Der junge Mann ist schwarz gekleidet und Hellinger konstatiert: „Er hat eine verräterische Kleidung. Schwarz ist der Tod.“ Und Hellinger sagt: „Du bist selbstmordgefährdet, wenn wir keine Lösung finden.“ Die Klientin will sich immer noch ein wenig wehren. Hellinger sagt zu ihr: „Du bist noch nicht gerettet.“ Doch Hellinger rettet zunächst den jungen Mann, indem er ihn in die Arme des Adoptivvaters schickt und zu diesem sagen lässt: „Halte mich, dass ich am Leben bleibe“. Der Adoptivmutter wird danach von Hellinger abgefertigt: „Für dich ist noch nichts gelöst. Du bist noch nicht bereit. Ich kann da nichts machen. Für dich ist es nicht gut.“ Er tröstet noch ein wenig, dass sie ja mit der Adoption eigentlich trotzdem etwas Gutes hat tun wollen. Hellinger wurde zum Hellseher. Er entwickelt ein Wahnsystem. Die Frau, die sich hilfesuchend an ihn gewandt hat, wird vor einem großen Zuschauersaal „entlarvt“, als unfähig und schuldig ausgewiesen. Es ist nicht das einzige Mal in dieser Show, dass Hellinger den Lebenden unterstellt, sie wollten einem Verstorbenen aus ihrem Familiensystem unbedingt nachfolgen. Mit verstorbenen oder auch mit abgetriebenen Kindern bleiben nach Hellinger Menschen ohne Ausnahme lebenslang verstrickt. Und ganz schnell müssen andere in der Familie die Nachfolge antreten. Abtreibung verstößt besonders heftig gegen die Ordnungen von Hellinger und führt meist zu Verstrickungen:

„Die Bedeutung von Abtreibung und was dann fällig ist“ „Manche verurteilen sich nach der Abtreibung zum Tode, und man muss das respektieren. Die Vollstreckung dieses Todesurteils ist der Gipfel dessen, was man dem Kind zumutet. Dann wird es noch einmal hineingenommen in einen Zusammenhang, der schlimm sein muss für das Kind. Nimmt man ein abgetriebenes Kind in eine Konstellation auf, hat es eine ganz besondere Wirkung. Klaus, wie ist es dir dabei ergangen? (bezieht sich auf eine Konstellation, in der Klaus die Position eines abgetriebenen Kindes einnahm) Klaus: Ganz zuerst war ich sehr allein und ohne Sinn fürs Leben. Bert Hellinger: Das ist die Wirkung, das Kind fühlt sich vö llig allein und im Stich gelassen und ausgestoßen. Das ist die Situation und die Wirkung ist, dass, wenn sich einer von den Eltern oder beide dem Kind zuwenden – und das geschieht symbolisch durch die Berührung – dann wird das Kind aufgenommen in den Verband, und es kann dann seinem Schicksal zustimmen. Das geht aber nur, wenn bei den Eltern der Schmerz mö glich wird. Der Schmerz ehrt das Kind und er versö hnt es mit den Eltern.“ (Weber, 1999, S. 136)

Fazit

Hellinger bietet kein Therapiekonzept, sondern eine simplifizierte Religion, eine Droge, eine Wunderheilung und manchmal ein Wahnsystem an. Mich wundert und erschrickt, wie viele Kolleginnen und Kollegen in Erziehungsberatungsstellen sich zu den „Schülern“ oder Anhängern Bert Hellingers zählen. Was wir vom Esoterik-Trend schon kennen: Das Bedürfnis vieler Menschen, nicht selbst über sich zu bestimmen, sich „höheren Mächten, höheren Gesetzmäßigkeiten“ unterzuordnen, und die große Sehnsucht nach einfachen Lösungen für schwere Themen wird von Bert Hellinger ganz perfekt befriedigt. Psychologie Heute hat sich seit einiger Zeit mit Hellingers Arbeit kritisch auseinander gesetzt. In der Ausgabe 3/1998 hat dort Andreas Fincke, Referent der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen gefragt: „Wer verhindert, dass Hellinger vor 500 begeisterten Zuschauern seiner eigenen Wirkung erliegt und Allmachtsphantasien entwickelt?“ Die Zeitschrift Focus bescheinigt in ihrem Artikel 13/98 „Wenn Therapeuten Gott spielen“ Bert Hellinger eine „erschreckende therapeutische Selbstherrlichkeit.“ Und schreibt meines Erachtens völlig zutreffend: „Scharen von alternativen Psychoheilern erlernen Hellingers Methoden, und seine Gedanken über Sippe und Familie werden sogar von einigen wissenschaftlichen Psychologen ernst genommen.“ Im Report Psychologie 5-6/99 heben die Professoren Lukesch, Perrez, Schneewind und Frey hervor, dass „pseudowissenschaftliche und pseudopsychologische Angebote“, zu denen die Familienaufstellungen nach Hellinger zählen „trotz ihrer Unseriosität ein beträchtliches Publikum erreichen“. Und sie beklagen: „Es ist auch unübersehbar, dass in diesem grauen Markt – aus welchen Biographien heraus auch immer – akademisch ausgebildete Psychologinnen und Psychologen tätig sind, die mit ihrem akademischen Titel diesen Methoden eine Seriosität zukommen lassen, für die es keine sachliche Grundlage gibt.“ Sie schlagen eine Reihe von Initiativen vor, beginnend mit verstärkter Aufklärung in der Öffentlichkeit bis zur Einleitung von Abmahnverfahren, „wann immer missbräuchliche rechtsrelevante Therapieangebote unterbreitet werden.“ Solange die Esoterikwelle boomt, haben auch irrationale, unseriöse Therapiekonzepte Konjunktur, zumal sich mit ihnen ein großes Geschäft machen lässt. Ich wünsche mir, dass Therapieverbände und Verbände für Erziehungsberatung (LAG und BKfE) sich künftig deutlich gegen die Wunderheiler auf dem großen Psycho-Markt abgrenzen.


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