Buchrezensionen zum Thema:

Aus diesseits Ausgabe 63/2003:

Reaktionäre Psychologie

Die wenigsten Esoteriker und Klienten von Psychogurus werden ihre Szene und deren Nähe zum rechten Rand so umfassend überschauen wie ihr Kritiker Colin Goldner vom „Forum Kritische Psychologie“ in München. Von Goldner, der zuletzt eine kritische Studie über den Dalai Lama vorgelegt und mit „Die Psychoszene“ ein Standardwerk zu unseriösen Therapieangeboten verfasst hat, erschien Anfang 2003 im Ueberreuter- Verlag Wien das Buch „Der Wille zum Schicksal“ über Bert Hellinger, neuer Star in der Szene unseriöser Therapieangebote. Der ehemalige Mönch und Missionar, der inzwischen als selbsternannter Therapeut arbeitet, hat eine simple Methode der Familientherapie entwickelt. Er stellt Konflikte mit Menschen nach und wartet dann auf eine Eingebung, die ihm zeigt, wie das Problem zu lösen ist. Dies alles praktiziert er vor gut zahlendem Publikum als Showtherapie: Es werden Personen mit psychischen Problemen auf die Bühne geholt, von denen Hellinger nichts weiß; er kennt die Entstehung ihrer Krankheit oder eines Konflikts nicht. In der seriösen Psychotherapie hingegen ist die Anamnese Grundlage für eine gelungene Hilfe. Als sich 1997 eine Frau nach einem Familienaufstellen Hellingers umbrachte – als sie den Saal verließ, rief er ihr noch hinterher: „Die Frau geht, die kann keiner mehr aufhalten (...) Das kann auch Sterben bedeuten.“ – wurde er gefragt, ob er nicht gemerkt habe, dass die Frau psychisch labil war. Hellinger fragte zurück, wie dies möglich gewesen sein soll, da er die Frau ja nur drei Minuten lang gekannt habe. Auch eine Nachbereitung seiner Fälle hält er für überflüssig. Der Vorwurf, sein Therapieverständnis sei unwissenschaftlich, trifft ihn nicht, denn er hat – wie alle Irrationalisten – nicht den Anspruch wissenschaftlich zu arbeiten. Hellingers Verständnis von Familie liegt zugrunde, dass eine natürliche, hierarchische Ordnung die familiäre Konstellation bedingt und jede Abweichung eine Krankheitsentstehung fördert. In Hellingers Familienbild gibt es reaktionäre Anachronismen wie das Erstgeburtsrecht, die Verteufelung der Homosexualität und die zentrale Machtstellung des Mannes. Eine schicksalhafte Ordnung sieht Hellinger auch in historischen Prozessen. Ganz besonders skandalös sind dabei seine Urteile über den Holocaust: Er fordert, dass die Opfer, deren Ermordung ihr selbstgewähltes Schicksal sei, sich mit den faschistischen Tätern versöhnen sollen. Goldner hat insgesamt 19 Fachleute in seinem Band versammelt, die verschiedene Aspekte der Familienaufstellungen und der Person Bert Hellinger beleuchten. Unter ihnen Ingo Heinemann, Jurist und Betreiber der über Sekten aufklärenden Homepage agpf.de, der Filmemacher und Autor Petrus van der Let, der unter anderem zu okkulten Ursprüngen des Nationalsozialismus publiziert, und Beate Lakotta, die mit einem kritischen Artikel im „Spiegel“ eine Diskussion um Hellinger ausgelöst hat. Wenn es auch streckenweise zu Wiederholungen einzelner Aspekte kommt, deckt das Buch unterschiedliche Teilbereiche des hellingerschen Wirkens ab, juristische ebenso wie psychologische. Das zutiefst reaktionäre Weltbild Hellingers wird ebenso kritisiert wie seine vielen Anhänger, die sich wie er therapeutisch betätigen, ohne eine psychologische Ausbildung durchlaufen zu haben. Anhand verschiedener Beispiele wird in Goldners Buch nicht nur gezeigt, dass die Person Bert Hellinger und seine Praktiken einen Angriff auf Vernunft und Aufklärung darstellen, sondern es werden auch generell strukturelle Affinitäten von Faschismus und Esoterik einmal mehr deutlich.

Christoph Horst

Goldner, Colin (Hrsg.): Der Wille zum Schicksal. Die Heilslehre des Bert Hellinger. – Wien, 2003. – 22,95 Euro

 

Esoterik und Leitkultur

Die gemeinsamen gedanklichen Experimente in der esoterischen Vielfalt aufzeigen und die irrationale Dimension als strömungsübergreifende Grundannahme darstellen will Claudia Barth in ihrem Buch „Über alles in der Welt – Esoterik und Leitkultur“. Es gliedert sich in zwei große Teile, worin die historischen und gegenwärtigen Erscheinungsformen der Esoterik dargestellt und eingeschätzt werden. Zunächst geht Barth auf die Herausbildung esoterischen Denkens bei Helena Blavatsky und Rudolf Steiner ein, widmet sich der Verbreitung derartiger Auffassungen im Kulturpessimismus und der Lebensphilosophie und thematisiert die Akzeptanz im völkischen Lager und im Nationalsozialismus. Dem folgen Fallstudien zu gegenwärtigen Artikulationsformen bei Rudolf Bahro, Fritjof Capras und Bert Hellinger sowie bezogen auf das Bild von Tibet, die Renaissance des Heidentums und die Verbreitung antisemitischer Verschwörungstheorien. Umrahmt werden diese Informationen von kurzen Ausführungen zu wissenschaftlichen Aspekten des Irrationalismus und Anregungen zur Entzauberung der Geisterwelt. Barth geht bei all dem davon aus, dass auch die gegenwärtige Herausbildung der Esoterik im Kontext ihrer irrationalistisch- völkischen Vorbilder stehe. Das Urteilüber „Alles in der Welt“ fällt ambivalent aus: Einerseits handelt es sich um eine gut lesbare und übersichtlich strukturierte journalistische Arbeit, die einen informativen Einstieg in die Materie liefert. Andererseits neigt die Autorin mitunter zu nicht immer nachvollziehbaren Pauschalisierungen und Verallgemeinerungen. Darüberhinaus fällt auf, dass Informationen und Zitate häufig aus zweiter Hand übernommen sind sowie überkommene DDR-Literatur ebenso kritiklos rezipiert wird, wie mancher unseriöse Autor (Ditfurth, Kratz). Leider erfolgt die im Untertitel versprochene „Kritik irrationaler Welterklärungen“ auch nur in Ansätzen.

Armin Pfahl-Traughber

Barth, Claudia: Über alles in der Welt: Esoterik und Leitkultur. Eine Einführung in die Kritik irrationaler Welterklärungen. – Aschaffenburg: Alibri Verlag, 2003. – 14 Euro


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