Buchrezensionen zum Thema:

Die Ordnung einhalten: Familienaufstellungen als Heilungsversprechen für psychisch Kranke von Claudia Barth

Rezension zu: Franz Ruppert (2002). Verwirrte Seelen. Der verborgene Sinn von Psychosen. Grundzüge einer systemischen Traumatologie. München: Kösel Verlag, 29,95 ¤

Franz Ruppert ist Psychologieprofessor an der Katholischen Stiftungsfachhochschule in München und bildet dort SozialarbeiterInnen aus. Er unternimmt in seinem neuesten Buch den Versuch, Menschen mit schwersten psychischen Problemen verstehen zu wollen. Das Neue an Rupperts Buch ist im Gegensatz zu den Ausführungen seines Lehrers Bert Hellinger, dass er erstens versucht, seine mit Aufstellungen gemachten Erfahrungen in eine Theorie psychischer Störungen und ihrer Heilung umzuarbeiten und zweitens in diesem Rahmen eine eindeutige Erklärung für die Verursachung psychischer Störungen gibt. Es ist nicht erstaunlich, dass Ruppert die seit Jahrhunderten unternommenen psychiatrischen Versuche, Psychosen zu erklären und sie zu therapieren, als Misserfolge (12) beschreibt. Erstaunlich ist, dass er die anti- und sozialpsychiatrischen Versuche, psychisch kranke Menschen in ihrer Gewordenheit und Einzigartigkeit zu verstehen, als gutmeinende Parteinahme für die seelisch Leidenden (14) verharmlost und ihnen unterstellt, sie hätten theoretisch nur Begrifflichkeiten anzubieten wie »abweichendes Verhalten«, »Benachteiligung« oder »Stress« (ebd.), welche keinesfalls adäquat seien, um die Entstehungsgründe von Verfolgungswahn und Manie wirklich zu begreifen (ebd.). Zu dieser vorsätzlich falschen Darstellung psychiatriekritischer Konzepte gehört auch Rupperts Ignoranz gegenüber diesen Ansätzen, die durchaus erfolgreich daran beteiligt sind, dass Menschen mit psychischen Problemen heute weniger hospitalisiert und diskriminiert werden. Der Angriff auf medizinisch orientierte Psychiatrie sowie auf alternative Ansätze beinhaltet den Vorwurf, diese würden keine Heilung bewirken. Was die sozial- und gemeindepsychiatrischen Theorien und Praxiskonzepte betrifft, so hat Ruppert sicher recht: Heilung in seinem Sinne ist deren Anliegen nicht; vielmehr kommt es ihnen auf die Begleitung verwirrter Menschen an, die im besten Falle dazu führen kann, dass diese die Hintergründe und die biografischen Anlässe ihrer Verwirrungen besser verstehen lernen, um ihnen nicht mehr ausgeliefert zu sein.
Ruppert behauptet von seiner vorgelegten Schrift, sie würde eine zutreffende Theorie über die Entstehung von Verfolgungswahn, Manie und wahnhafter Depression (16) entwickeln und auf der Basis dieser Theorie [sei] ein gezieltes therapeutischen Handeln möglich (466). Am erstaunlichsten ist für die LeserInnen, dass das komplizierte Rätsel (465), als welches Ruppert den Wahnsinn bezeichnet, eine einfache Lösung (466) hat: So dramatisch die Erscheinungsformen von Psychosen sind und so sehr sie die Betroffenen quälen und ihre Angehörigen belasten, so banal ist nach meiner Überzeugung ihre ursächliche Erklärung und Therapie (ebd.). Die theoretische Einsicht Rupperts besteht darin, dass alle psychischen Traumata letztlich nur durch Liebe geheilt (ebd.) werden. Diese Einfachheit seiner Erklärung ist nicht der Realität geschuldet, sondern lediglich seiner Konstruktion einer Realität, die weder Widersprüche noch komplexe Problemlagen kennt.

Aufstellen heilt

Stellt sich die Frage, welche Erklärung Ruppert für psychische Störungen hat und wie er behaupten kann, durch seine Art therapeutischen Handels könne man Betroffenen so helfen, dass sich die seelische Verwirrung in ihnen und in ihrem Familiensystem so weit auflöst, dass sie wieder ein normales Leben führen können (466). Er ist davon überzeugt, die Methode der Familienaufstellung nach Hellinger könne schwerste seelische Konflikte transparent machen (290). Kritik an der Hellingerschen Art von Aufstellungen, wie sie bspw. in einer Stellungnahme der Systemischen Gesellschaft bekundet werden, tut Ruppert mit Bezug auf selbst gemachte Erfahrungen ab, die sich die Kritiker weigern würden zu machen. Er behauptet, in seinen Aufstellungen sei für diejenigen, die Augen und Ohren nicht verschließen würden, die Wirklichkeit zu erfahren (290). Ruppert geht in seinen Aufstellungen nicht nur soweit, mehr als 50 Personen daran teilnehmen zu lassen und sie ohne kritische Reflexion zu beenden; er stellt neben Personen auch abstrakte seelische Größen (291) wie Ängste, Süchte oder auch Neurodermitis (ebd.) oder die Familie Adolf Hitlers auf (413/414). Bei seiner therapeutischen Arbeit mit Ludwig, einem unter Druck stehendem Menschen, lässt Ruppert die Familie Ludwigs und den vom Onkel erschossenen Juden aufstellen. Ohne sich auch nur seines Zynismus’ bewusst zu werden, schreibt Ruppert über das erfahrene Verhältnis der aufgestellten Personen zueinander: Die Fronten zwischen dem ermordeten jüdischen Besitzer der Hofstelle und Ludwigs Onkel und seinem Vater waren völlig verhärtet (347). Ludwigs „Heilung“ kam nun dadurch zustande, weil Ruppert die Idee hatte, Adolf Hitler und das deutsche Volk aufzustellen und Ruppert jemand aus Ludwigs Familie aufforderte, sich vor dem persönlichen Schicksal Adolf Hitlers zu verneigen. Dadurch löste sich die unversöhnliche Konfrontation zwischen Adolf Hitler und dem jüdischen Mann auf (348), anschließend verneigte sich das deutsche Volk noch vor dem Schicksal des Juden. Ludwig verneigte sich dann vor seinem Mörderonkel und seinem Vater und konnte dann auch dem jüdischen Mann mit Liebe in die Augen blicken (ebd.).

Missbrauch der Opfer

Rupperts arbeitet ideologisch an der Entmündigung von Subjekten und an der Herstellung von Individuen, die sich freiwillig den Verhältnissen, seien sie auch noch so ungerecht und menschenverachtend, unterordnen. Dass diese theoretische Haltung auch Folgen für die Darstellung des deutschen Faschismus hat, soll im Folgenden gezeigt werden. Ruppert widmet Adolf Hitler und der Erklärung dessen persönlichen Schicksals mehr als 30 Seiten. Eingebettet ist diese Individualisierung des deutschen Faschismus’ in verharmlosende und die Deutschen ent-schuldende Floskeln zur Nazi-Zeit. So reiht Ruppert unter diejenigen, die durch das menschenverachtende Regime Hitlers und seiner Helfershelfer (252) verwirrt wurden, Täter- wie Opferfamilien, in denen wir die Auswirkungen der schrecklichen Vergangenheit an den Verwirrtheitssymptomen der später Geborenen ablesen können (ebd.). Was Ruppert in seinen Ausführungen zum deutschen Faschismus betreibt, ist das, was als Missbrauch der Opfer bezeichnet werden kann. Rücksichtslos und sie auf eine Stufe mit den Tätern stellend beutet Ruppert die Erfahrungen von Opfern des Faschismus dafür aus, um seine Theorien der familiär bedingten Traumatisierungen sowie der Ordnungssysteme, deren Verlassen psychisch krank mache, zu stützen. Mit der Funktionalisierung der Opfer-Erfahrungen für die eigene Theorie korrespondiert die permanente Entlastung der deutschen Täter. Die deutschen Soldaten und deren Leiden hebt er besonders hervor: Kriegsfolgen sind die schwersten Traumafolgen. Selbst die Gruppe der Kriegsgewinner zahlt einen horrenden Preis an körperlichen, seelischen und wirtschaftlichen Schäden (ebd.). Nicht nur, dass Ruppert über die Kategorie des Leids und der seelischen Verletzungen Opfer- und Täterhandlungen auf eine Stufe stellt. Darüber hinaus vergisst er über seine Thematisierung des Kriegs diejenigen, die gar nicht im Kriegszustand mit dem Deutschen Reich standen: die Juden. Das von ihnen Erlittene wird von Ruppert schlicht und einfach übergangen.

Ordnungen der Seele

Aufgabe der Familienseele (wie auch der Sippenseele und der Volksseele etc.) sei es, das Nicht-Dazugehörende abzugrenzen (64) und Getrenntes zu verbinden. Verstoßen die Individuen gegen die Regeln der Ordnungen von Familie, Sippe oder Nation, so führe dies zu schwersten Störungen, die wiederum in Gewalt, Kriegen, Kreuzzügen und Terror endeten. Dass mit solcherart Theorie gesellschaftliche Verhältnisse - die mit dazu beitragen, dass Menschen psychisch krank werden - gerechtfertigt werden, ist einer der Skandale dieses Buchs. Ein weiterer ist die Art und Weise, wie Ruppert seine Theorie der gestörten Familienbindungen beweist: Lediglich durch sein Erfahrungswissen belegt Ruppert mit verschiedenen Praxisbeispielen seine Trauma-Typologie. So schlägt er zum Verständnis der seelischen Verwirrungen vier Arten von Trauma (130) vor, ohne auch nur ansatzweise zu erklären, wieso er diese vier und nicht etwa drei oder fünf Trauma-Arten nennt: existenzielle Traumen, Verlusttraumen, Bindungstraumen, Bindungssystemtraumen (ebd.). Diesen Trauma-Arten weist er jeweils gewisse Symptomgruppen zu; z.B. folgen aus existenziellen Traumata massive Ängste oder Zwangshandlungen, aus Bindungssystemtraumata Schizophrenien und Psychosen. Der zentrale Begriff in Rupperts Kategorisierung ist dabei die Seele, vor allem die Familienseele. Die Störung dieser Familienseele durch Abtreibungen, Morde, Selbstmorde oder untergeschobene Kinder (178) zeitigt schreckliche Folgen und zwar für alle Angehörigen der Familienseele. Anschließend an die Behauptung, die je individuelle Seele sei eine Erfahrungstatsache, wird der Seelenbegriff erweitert: Die Seele sei nicht nur etwas Individuelles, sondern sie sei auch als etwas erfahrbar, das über den einzelnen Menschen hinausreicht (61). Wie belegt der Autor diese Behauptung? Auch hier findet man lediglich Rupperts Erfahrung wieder: Die Arbeit mit Familienaufstellungen sei es, die eine Familienseele (62) erfahrbar mache; man könne es unmittelbar sehen und spüren, wie die Mitglieder einer Familie seelisch miteinander verbunden sind (61). Doch diese erfahrbare Familienseele reicht bei weitem nicht aus, das zu beschreiben, was größere Verbände als die Familie erfahrbar werden lassen. Ruppert nennt dazu die Sippenseele, die Clanseele, die Stammesseele, die Volksseele und die Nationenseele. Nachdem die Seele nun zu einer überirdischen Einheit geworden ist, wird sie im nächsten Schritt wieder verdinglicht und als handelnde Einheit konstruiert: Sie wächst und entfaltet sich … durch schlimme Erfahrungen wird sie vorsichtig … widersprüchliche Anforderungen können die Seele sogar in Verwirrung stürzen (63/64). Diese Umarbeitung der Seele zu einem handlungsfähigen Subjekt hat zur Folge, dass der Mensch als Subjekt sich gegenüber seinem Seelenleben hilflos und handlungsunfähig fühlen muss. Nicht er bestimmt über seine Handlungen; vielmehr gibt es in Rupperts Subjektkonstruktion Rahmenbedingungen und Ordnungen, die das Individuum eindeutig in seinen Handlungen festlegen. Die Seele ist dabei der Hebel, über den sich die Regeln und Ordnungen im Subjekt verankern. Die Seele bewegt das, was sie umfasst, im Rahmen einer Ordnung (62). Grundsätzlich geht es Ruppert also darum zu beweisen, dass es Pflicht der Individuen sei, die Ordnungen, in die sie hineingeboren sind, anzunehmen, weil jedes Ausscheren aus diesen Ordnung zu Verwirrungen führe: Auch das, was nicht ist und gelebt wird, muss seelisch bewältigt und als besonderes Schicksal angenommen werden. Kinder zu haben ist in diesem Sinne ebenso etwas Schicksalhaftes wie die Tatsache, keine eigenen Kinder zu haben. Wer seinem Schicksal zustimmt, so wie es ist, und es nicht für besser oder schlechter als ein anderes Schicksal bewertet, ist frei, sein eigenes Leben zu verwirklichen (186). Für psychisch Kranke bedeutet dies, ihre biografischen Traumatisierungen zu akzeptieren und die krankmachenden Verhältnisse zu bejahen


| Start | Kritik | Termine | Kontakt | Impressum | Links |